Wider jegliches Vergessen!
Wenn ich morgens müde und ein wenig mürrisch im Zug sitze und Jugendliche beobachte, wie sie sich begrüßen, bin ich jedes Mal erstaunt. Als hätten sie sich lange nicht mehr gesehen, erhält jede(r) Anwesende einen festen Händedruck. Damit nicht genug! Auch die Verabschiedung wird mit einem Handschlag zelebriert. Und am nächsten Morgen, wiederholt sich das Schauspiel von Neuem.
Ich bin fasziniert, wie konsequent diese jungen Menschen an ihrem immer wiederkehrenden, gleichen Begrüßungs- und Verabschiedungsritual festhalten, wo sie doch heute viel eher mit ständiger Veränderung, Erneuerung und Flexibilität konfrontiert werden und sich darauf einstellen müssen.
Wenn diese jungen Menschen sich freiwillig einem Ritual unterziehen, müssen Rituale einen besondere Bedeutung haben!
Wie ist es denn bei mir? Ich merke, ich bin kein besonders ritueller Mensch, aber spätestens an Weihnachten brechen bei mir Eigenarten aus, die sich jährlich um die gleiche Zeit wiederholen. Ich singe, wenn es sein muss auch alleine, alte verstaubte Weihnachtslieder. Ich lese immer wieder die Geschichte von Jesu Geburt und schreibe dazu eine eigene Geschichte, die ich am Weihnachtsabend meiner Familie vorlese. Ich stelle mit biblischen Erzählfiguren die Weihnachtsgeschichte nach, beleuchte die Wohnung mit Kerzen, backe Weihnachtsplätzchen, die wir gar nicht alle essen können, verzichte nie auf einen Adventskranz und zünde an jedem folgenden Sonntag voller Vorfreude eine Kerze an. Und ich bereite Geschenke vor, die ich am Weihnachtsabend an meine Lieben verteile.
Und warum mache ich das alles? Aus dem gleichen Motiv, wie die Jugendlichen. All diese familiären und religiösen Rituale helfen mir, nicht zu vergessen. In meinem Fall nicht zu vergessen, zu wem ich gehöre. Nicht zu vergessen, aus welcher Familie ich stamme, in der ebenfalls für Weihnachten gebacken, gebastelt, gesungen etc. wurde. Aber, und vor allem, nicht zu vergessen, dass ich zu Jesus gehöre, den ich besinge, der mir mit jeder entzündeten Kerze sagt, dass er mein Licht ist, auch für mich leuchtet, und der mich mit jedem Geschenk daran erinnert, wie reich ich von ihm beschenkt bin.
Für mich ist klar, sowohl ein Alltagsleben ohne Bräuche, auch wenn es sich nur um einen einfachen Handschlag handelt, als auch ein Weihnachten ohne Rituale ist für mich unvorstellbar. Sie lassen mich nicht vergessen, was wichtig und wesentlich ist für mein Leben. Sie schützen mich vor der Unordnung und helfen mir mich zu vergewissern, zu wem ich gehöre.
Und weil es für mich so unverzichtbar ist, ahne ich schon: bald wird es wieder beginnen, das Backen, das Singen, das Lichterfest in meiner Wohnung.........Doch bis dahin schaue ich auf meiner Zugfahrt weiterhin genüsslich zu, wie beherzt und unermüdlich die Jugendlichen ihre allmorgendlichen Begegnungsrituale feiern.
5 Comments:
Wie schoen - habe diesen blog eintrag gleich dreimal gelesen.
Erinnere mich noch gerne an die letzten Weihnachten, als wir bei dir auf der Couch sassen und Tee tranken. Bei uns geht auch bald das dekorieren los, und Brooke hat auch schon deine Weihnachtsfiguren erwaehnt. Schoen.
6:10 PM
auch ich habe den text schon 4 oder 5 mal gelesen und finde ihn immer noch super geschrieben und inhaltlich sehr gut - meine frau ist immer für eine überraschung gut.
8:17 AM
überraschung?? (c;
Sie soll halt doch mal ihr buch schreiben.
3:47 PM
ich glaube sie muss mal erzählen wie es zu diesem text gekommen ist.( der text ist eine kolumne in der mennozeitung perspektive)
ich möchte nicht so gerne aus dem "nähkästchen" plaudern.... stichworte: für jemanden einspringen eigentlich keine zeit dann- übermorgen muss es fertig sein ....
und dann dieser text - genial sagt dazu ihr mann
5:38 PM
genial sagt auch die heike
7:31 PM
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